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Lehrbuch: Systemtechnik des Schienenverkehrs

Hinweise für Leser in der Schweiz


Seit einiger Zeit erfreut sich dieses Buch auch zunehmender Beliebtheit in der Schweiz. Da das Buch in Deutschland erschien, wird als Referenz-Terminologie die im deutschen Bahnbetrieb eingeführte Begriffswelt verwendet. Erfreulicherweise zeigen die Betriebsgrundsätze der Eisenbahnen in Deutschland und der Schweiz viele Ähnlichkeiten. Es gibt jedoch eine Reihe von Details, in denen sich betriebliche Begriffe und Verfahren voneinander unterscheiden. Die Unkenntnis dieser Sachverhalte kann ungünstigstenfalls zu Missverständnissen bei der Lektüre führen. Ich habe daher hier eine Reihe diesbezüglicher Hinweise zusammengestellt. Diese Zusammenstellung beschränkt sich auf Begriffe, die die im Buch verwendete Terminologie betreffen, sie erhebt jedoch keinen Anspruch auf einen darüber hinausgehenden Vergleich der deutschen und schweizerischen Betriebsgrundsätze.

Ich wünsche meinen Lesern in der Schweiz weiterhin viel Freude mit diesem Buch und freue mich jederzeit über ergänzende Hinweise.

Jörn Pachl


Gesetzliche Einordnung der Eisenbahnen

Im Gegensatz zur Rechtslage in Deutschland und Österreich gibt es in der Schweiz keine getrennten Bau- und Betriebsordnungen für Eisenbahnen und Strassenbahnen. Die Verordnung über Bau und Betrieb der Eisenbahnen (Eisenbahnverordnung [EBV]) gilt auch für Strassenbahnen, die in der Schweiz deswegen auch begrifflich den Eisenbahnen zugerechnet werden. Die Schweizerischen Fahrdienstvorschriften gelten ebenfalls für alle nach EBV betriebenen Bahnen einschliesslich der Strassenbahnen.

Einteilung der Betriebsstellen

Als Bahnhof ist die Anlage innerhalb der Einfahrsignale zur Sicherung und Regelung des Zugverkehrs und der Rangierbewegungen definiert. Damit bestehen im Unterschied zum deutschen Regelwerk grössere Freiheiten in der Erklärung von Betriebsstellen zu Bahnhöfen. Im Unterschied zur deutschen Begriffswelt wird zwischen der Einfahrweiche und der ersten Weiche eines Bahnhofs unterschieden. Die erste Weiche ist die unmittelbar auf das Einfahrsignal folgende Weiche. Die Einfahrweiche ist die erste auf das Einfahrsignal folgende spitz befahrene Weiche. Zusätzlich gibt es den in Deutschland nicht benutzten Begriff der Ausfahrweiche, dies ist die letzte bei der Ausfahrt stumpf (d.h. von der Wurzel aus) befahrene Weiche eines Bahnhofs. Die freie Strecke wird nur als Strecke bezeichnet.

Abzweigstellen werden als Linienabzweigungen, Überleitstellen als Spurwechselstellen bezeichnet. Der Begriff der Anschlussstelle wird nicht verwendet, man spricht nur von Anschlussgleisen im Bahnhof und an die Strecke.

Der Begriff des Haltepunktes wird nicht verwendet. Die in Deutschland als Haltepunkte bezeichneten Betriebsstellen werden in der Schweiz den Haltestellen zugerechnet.

Die Begriffe Blockstelle und Deckungsstelle werden nicht verwendet, man spricht nur von Blocksignalen und Deckungssignalen. Die Begriffe Zugfolgestelle und Zugmeldestelle werden nicht verwendet. Für Blockabschnitte werden in der Schweiz die in Deutschland teilweise alternativ benutzten Begriffe Blockstrecke und Zugfolgeabschnitt nicht verwendet.

In neueren Stellwerken ist der Begriff des "Stationsbereichs" üblich. Bei Bahnhöfen entspricht der Stationsbereich der Bahnhofsanlage zwischen den Einfahrsignalen. Der Stationsbereich einer Linienabzweigung oder Spurwechselstelle ist die Gleisanlage zwischen den diese Betriebsstelle begrenzenen Hauptsignalen. Verglichen mit der deutschen Terminologie entspricht der Stationsbereich damit dem Bereich einer Zugmeldestelle.

Fahrten mit Eisenbahnfahrzeugen

Ein Zug ist die auf die Strecke übergehende Fahrzeugeinheit bis zur Ankunft auf dem Bestimmungsbahnhof, ausgenommen während Rangierbewegungen. Zugfahrten sind alle Fahrten, die durch Hauptsignale gesichert und geregelt werden. Rangierfahrten sind alle Fahrten, die nicht als Zugfahrten durchgeführt werden können. In folgenden Fällen sind auch Fahrten auf der Strecke als Rangierfahrten durchzuführen:

Damit werden auch bestimmte Fahrten als Rangierbewegungen durchgeführt, die in Deutschland als Züge gelten. Für Rangierbewegungen auf die Strecke gelten die Bremsvorschriften für Züge. Der Fahrdienstleiter ist sowohl für die Regelung der Zugfahrten als auch für die Regelung der Rangierbewegungen zuständig.

Verwendung der Signale

Signale stehen grundsätzlichlinks vom zugehörigen Gleis. Am äussersten rechten Gleis dürfen sie auch rechts stehen. Zwischensignale werden als Gleisabschnittssignale bezeichnet. Deckungssignale werden nur dann als solche bezeichnet, wenn sie nicht zugleich die Funktion eines Blocksignals haben.

Anstelle der in Deutschland üblichen Sperrsignale werden in der Schweiz sog. Zwergsignale verwendet, die als dreibegriffige Positionslichtsignale mit weissen Lichtern ausgeführt sind. Zwergsignale können folgende Signalbegriffe zeigen:

FAHRT MIT VORSICHT bedeutet, dass unmittelbar nach dem Zwergsignal mit einem Hindernis gerechnet werden muss (z.B. einem Halt zeigenden Signal). Bei FAHRT zeigt das nächste Zwergsignal FAHRT oder FAHRT MIT VORSICHT. Zwergsignale, an denen eine Zugfahrstrasse vorbeiführt, zeigen FAHRT, das letzte Zwergsignal vor einem Halt zeigenden Hauptsignal zeigt auch für Züge FAHRT MIT VORSICHT. Bei Ausfahrten auf die Strecke zeigt das letzte Zwergsignal für Zugfahrten FAHRT und für Rangierfahrten FAHRT MIT VORSICHT. Wenn ein Zwergsignal in Höhe der Weichenmitte neben einer Weiche aufgestellt ist, haben Fahrten, denen dieses Zwergsignal in spitz befahrener Richtung Halt gebietet, bereits vor den Weichenzungen anzuhalten.

Grenzzeichen an Weichen und Kreuzungen

Das Grenzzeichen wird als Sicherheitszeichen bezeichnet. Bei Schmalspurbahnen mit Drei- und Vierschienengleisen können unterschiedliche Sicherheitszeichen für normal- und schmalspurige Fahrzeuge stehen.

Begriff der Gleissperre

Der Begriff Gleissperre bezeichnet kein Entgleisungsmittel, sondern wie auch in Österreich die vom Fahrdienstleiter ausgesprochene Sperrung eines Gleises. Fahrwegelemente, die eine unzulässige Fahrzeugbewegung kontrolliert zur Entgleisung bringen, werden als Entgleisungsvorrichtungen bezeichnet. Daneben werden als Flankenschutzeinrichtung aber auch sog. Sperrschuhe verwendet, die anrollende Wagen ohne Entgleisung aufhalten (zur abweichenden Bedeutung des Begriffs Sperrschuh in Österreich siehe Hinweise für Leser in Österreich).

Fahrordnung und Regelung der Zugfolge

Auf zweigleisigen Strecken ist im Regelbetrieb auf dem linken Streckengleis zu fahren.

Der Streckenblock wird nur als Block bezeichnet. Dabei wird die Bezeichnung Block nur für traditionelle dezentrale Blocksysteme mit Austausch von Blockinformationen verwendet. Bei einer dem deutschen Zentralblock entsprechenden Streckensicherung spricht man einfach nur von Fahrstrassen auf der Strecke. Strecken sind grundsätzlich mit einer technischen Zugfolgesicherung durch Fahrstrassen oder Block ausgerüstet. Zugmeldungen werden nicht gegeben, benachbarte Fahrdienstleiter verständigen sich nur bei Unregelmässigkeiten und bei Rangierbewegungen auf die Strecke. Die blocktechnische Freigabe eines Blockabschnitts wird als Rückmeldung bezeichnet. Dieser Begriff ist deutlich vom gleich lautenden deutschen Begriff zu unterscheiden. Bei einem gestörten Abschnitt (sowohl im Bahnhof als auch auf der freien Strecke) ist zunächst abzuklären, welche Fahrt (Zug- oder Rangierbewegung) diesen Abschnitt zuletzt befahren hat. Anschliessend ist festzustellen, dass die letzte Fahrt diesen Abschnitt verlassen hat. Die erste Fahrt über den gestörten Abschnitt muss auf Sicht fahren. Ab der zweiten Fahrt darf der gestörte Abschnitt wieder mit Höchstgeschwindigkeit befahren werden, wenn die entsprechenden Bedingungen erfüllt sind.

Blocksicherung

In schweizerischen Blocksystemen wird, bevor ein Signal zur Fahrt in einen Blockabschnitt auf Fahrt gestellt werden kann, eine Vorreservierung des Blockabschnitts vorgenommen, die im Unterschied zur deutschen Terminologie als "Vorblockung" bezeichnet wird. Wenn ein Signal auf Halt zurückgestellt wird, ohne dass ein Zug ausgefahren ist, lässt sich die Vorblockung wieder zurücknehmen.

In der folgenden Tabelle sind wesentliche Begriffe der Blocksicherung, die zwischen deutschen und schweizerischen Fachleuten häfig zu Missverständnissen führen, gegenüber gestellt.

Schweiz Deutschland
Vorblockung keine Entsprechung
Blockung Vorblockung
Rückmeldung Rückblockung
protokollpflichtige Rückmeldung Rückmeldung
Freie Bahn Erlaubnis

Der Hintergrund der Vorblockung liegt in der Realisierung des Gegenfahrschutzes. Im Unterschied zum deutschen Erlaubniswechsel, wird die Freie Bahn nicht abgegeben, sondern von der Gegenstelle angefordert. Aufgrund des Verzichts auf Zugmeldungen gibt es kein Anbieteverfahren, durch das ein Fahrdienstleiter erfährt, dass der Nachbar einen Zug ablassen möchte. Der Richtungswechsel muss daher von der Betriebsstelle eingeleitet werden, die einen Zug ablassen möchte. Zum Anfordern der Freien Bahn muss die anfordernde Betriebsstelle erkennen können, ob die im Besitz der Freien Bahn befindliche Betriebsstelle eine Zugfahrt auf die Strecke zugelassen hat. Ansonsten wäre für die anfordernde Betriebsstelle nicht erkennbar, ob die Anforderung wegen einer Blockstörung oder wegen der Zulassung einer Zugfahrt fehlschl&uaml;gt. Diese Aufgabe übernimmt die Vorblockung. An der Anzeige des Vorblockung kann der Fahrdienstleiter erkennen, dass die Richtung nicht mehr gewechselt werden kann. Um wegen des Fehlens eines Anbieteverfahrens bei Ausfahrten ohne Signalbedienung oder in Situationen, in denen man aus anderen Gruünden verhindern muss, dass der Nachbar einen Zug ablässt, gibt es eine Bedienungshandlung zum Festhalten der Freien Bahn auf der eigenen Betriebsstelle. Das Festhalten der Freien Bahn wird auch beim Nachbarn angezeigt, so dass dieser erkennen kann, dass das Anfordern der Freien Bahn gesperrt ist.

Den traditionellen Block mit Austausch von Blockinformationen gibt es nur noch an Schnittstellen zwischen Stellwerken. Ein dezentraler selbsttätiger Block ist nicht mehr im Einsatz. In Relaisstellwerken und älteren ESTW ähnelt die Funktionsweise des selbsttätigen Blocks dem deutschen Zentralblock. Obwohl die Blocklogik mit Fahrstrassen realisiert wird, wird über diese Streckenfahrstrassen die traditionelle Blocklogik emuliert und auf der Bedienoberfläche in Anlehnung an die Altsysteme visualisiert:

Funktion des Zentralblocks visualisiert als
Streckenfahrstrasse eingestellt Vorblockung
Abschnitt besetzt Belegung (Blockung)
Streckenfahrstrasse aufgelöst Rückmeldung

In neueren ESTW wird die traditionelle Blocklogik mit Vorblockung, Belegung und Rückmeldung nur an Schnittstellen zu Altsystemen vorgesehen. Innerhalb eines ESTW und zwischen ESTW gleicher oder ähnlicher Bauformen werden die Blockabschnitte mit Fahrstrassen wie im Bahnhof gesichert. Diese sind keine Streckenfahrstrassen im Sinne des Zentralblocks mehr, sondern unterscheiden sich nicht von Fahrstrassen im Bahnhof. Dies ist möglich, weil im Unterschied zur deutschen Stellwerkstechnik bei Fahrstrassen auf Stationsgleisen der Zielverschluss nicht selbsttätig auflöst, so dass auch auf Stationsgleisen die Gleisfreimeldung von einer Art Blockabhängigkeit überlagert wird (s. u.).

Fahrstrassensicherung

Bei Fahrstrassen, die in ein Stationsgleis führen, löst der Zielverschluss (entspricht etwa der deutschen Zielfestlegung) nicht selbsttätig auf. Der Zielverschluss bleibt auch nach der Durchrutschwegauflösung bestehen und löst erst auf, nachdem der Zug das Bahnhofsgleis auf einer am Zielsignal der Einfahrt beginnenden Fahrstrasse geräumt hat. Über den Zielverschluss besteht auf Stationsgleisen prinzipiell die gleiche Abhängigkeit wie bei Streckenfahrstrassen des Zentralblocks. Bei einem gefährlichen Versagen der Gleisfreimeldeanlage verhindert der Zielverschluss das Einstellen von Einfahrten in das betreffende Stationsgleis. Da der Zielverschluss bei endenden und wendenden Zügen nicht auflösen würde, gibt es als besondere Bedienungshandlung die in deutschen Stellwerken unbekannte Betriebsauflösung. Damit kann der Bediener in Personalverantwortung den Zielverschluss auflösen, wenn der Zug den letzten Freimeldeabschnitt vor dem Zielsignal besetzt und der Durchrutschweg aufgelöst hat. Die Möglichkeit einer Betriebsauflösung des Zielverschlusses wird dem Bediener auf der Bedienoberfläche angezeigt.

Eine Zugfahrstrasse lässt sich nur einstellen, wenn entweder der vor dem Startsignal liegende Gleisabschnitt besetzt ist oder das Startsignal als Ziel einer Zugfahrt beansprucht ist. Als Zielbeanspruchung gilt entweder der Zielverschluss oder, bei Signalen am Ende eines mit Blockabhängigkeit gesicherten Blockabschnitts, die Vorblockung im vor dem Startsignal liegenden Blockabschnitt. Beim Einstellen mehrerer aneinander anschliessender Zugfahrstrassen besteht damit der Zwang, die Fahrstrassen in der Reihenfolge des Befahrens einzustellen.

Der Durchrutschweg wird nicht als eine Art Fortsetzung der Fahrstrasse über das Zielsignal hinaus behandelt und daher auch nicht in Analogie zum befahrenden Teil der Fahrstrasse in die Fahrwegprüfung und -sicherung einbezogen. Stattdessen endet die Fahrstrasse immer am Zielsignal. Die Sicherung des Durchrutschweges erfolgt durch folgende Massnahmen:

Der besondere Verschluss wird vorgesehen, wenn es innerhalb des Durchrutschweges zu Konflikten mit anderen Fahrten kommen kann. Die Entfernung, in der hinter dem Zielsignal andere Fahrten einmünden oder kreuzen dürfen, hängt dabei von der Art der Fahrt ab. Rangierbewegungen dürfen bereits 20 m hinter dem Zielsignal kreuzen oder einmünden, bei Zugfahrten hängt die Entfernung von der Einfahrgeschwindigkeit ab. Ist ein Ausschluss erforderlich, werden die betreffenden Weichen und Kreuzungen mit dem besonderen Verschluss belegt, der für diese Elemente eine Beanspruchung setzt und andere Fahrten über diese Elemente ausschliesst. Besonderer Verschluss bedeutet jedoch nicht zwingend, dass die betreffenden Elemente gegen Umstellen verschlossen sind. Im Durchrutschweg liegende Weichen werden nur dann umgestellt und verschlossen, wenn dadurch der Abstand zu einem Gefahrpunkt vergrößert werden kann. Weichen im Durchrutschweg dürfen auch bei Fahrt zeigendem Signal umgestellt werden, um eine Fahrbegriffsaufwertung zu ermöglichen. Der besondere Verschluss ist in Analogie zur deutschen Durchrutschwegsicherung mit einer Zeitauflösung versehen.

Der Durchrutschweg wird grundsätzlich nicht in die Freimeldung der Fahrstrasse einbezogen. Ansonsten wären die unterschiedlichen zulässigen Entfernungen zu Konflikten mit Zug- und Rangierfahrten gar nicht möglich. Nur in den Fällen, in denen auf das Zielsignal ein Freimeldeabschnitt ohne Weichen folgt, wird die Freimeldung des Zielgleises über das Zielsignal hinaus bis zum ersten Zwergsignal der Gegenrichtung verlängert (sog. erweiterte Freimeldung). Der betreffende Freimeldeabschnitt löst zusammen mit dem Zielverschluss auf.

Strecken ohne Block

Für die wenigen Strecken ohne Block gilt eine Sondervorschrift für "Besondere Betriebsformen". Hier erfolgt der Gegenfahrschutz durch Beachtung von Fahrplanregeln und der Folgefahrschutz durch protokollpflichtige (d.h. fernmündliche) Rückmeldung. Auf Strecken ohne Block dürfen sog. Zugverbände verkehren, die aus mehreren, einander im Sichtabstand folgenden Teilzügen bestehen. Fahrplan und Zugnummer gelten für den gesamten Zugverband. Teilzüge eines Zugverbandes, denen ein weiterer Teilzug folgt, werden an der Zugspitze durch eine grün-weisse Scheibe oder ein grünes Licht gekennzeichnet.

Ein dem deutschen Zugleitbetrieb entsprechendes Betriebsverfahren existiert nicht.


joern.pachl@gmx.de